На войне под наполеоновским орлом. Дневник (1812-1814) и мемуары (1828-1829) вюртембергского обер-лейтенанта Генриха фон Фосслера - читать онлайн книгу. Автор: Генрих Август Фон Фосслер cтр.№ 87

читать книги онлайн бесплатно
 
 

Онлайн книга - На войне под наполеоновским орлом. Дневник (1812-1814) и мемуары (1828-1829) вюртембергского обер-лейтенанта Генриха фон Фосслера | Автор книги - Генрих Август Фон Фосслер

Cтраница 87
читать онлайн книги бесплатно

aus Neid gegen ihre Kameraden das Obdach an, in dem sich leztere befanden, während diese das brennende Haus oft nicht verlassen wollten, sondern lieber aus Furcht zu erfrieren mit verbrannten. Solche Vorfälle wurden bald bekannt, und hatten zur Folge, daß der Stärkere immer dem Stärkeren sich anschloß, daß derselbe den Schwächeren aus den Wohnungen vertrieb, Schildwachen gegen diese, als gegen Feinde, ausstellte, daß oft um den kurzen Besitz eines Hauses lange Schlägereien, Mord und Todtschlag entstanden. Die Schwächeren, genöthigt, unter freiem Himmel zu campiren, suchten Holz zum Feuer zusammen, brachten, wo die Stärkeren nicht auf ihrer Hut waren, einzelne Theile der Häuser weg, deckten die Strohdächer ab, stahlen die Pferde, die Bagage ihrer Kameraden. Oft aber, sehr oft, vermochten sich diese Unglücklichen nicht mehr bis in die Nähe von Wohnungen zu schleppen, sondern blieben auf dem nächsten besten Platz liegen, und giengen da in der Nacht zu Grunde, oder wenn sie so glücklich gewesen waren, irgend // S. 85// ein verlassenes Feuer zu erreichen, so lagerten sie sich um dasselbe herum, und wurden, zu kraftlos, um Holz herbey zu bringen, und das Feuer zu unterhalten, des andern Morgens todt gefunden. Diese Leichen, fest gefroren, am Morgen von dem ersten Vorüberziehenden ausgeplündert, dienten dann als Sitze für die Nachkommenden, die stehen gebliebene Wägen zusammenschlugen, oder bespannte Wägen mit Gewalt Wegnahmen, und sich davon Feuer anzündeten. Viele schleppten sich schon halb todt an Feuer hin, streckten die Glieder, um recht bald zu erwärmen, in die Glut, und starben halb erfroren, halb verbrannt. Je länger der Rückzug währte, desto gräslicher war der Anblick der Flüchtlinge. In der furchtbarsten Kälte sah man Einzelne ohne Mantel, ohne Pelz, in leichten Fräcken, mit Nankinhosen daherziehen, sah, wie der Frost auf sie wirkte, wie ihre Glieder nach und nach erstarrten, wie sie niederstürzten, sich wieder aufrafften, wieder stürzten, um nicht mehr aufzustehen. Der Mangel einer guten und zweckmäsigen Fußbekleidung kostete Unzähligen das Leben. Bey manchen waren durch die zerrissenen Schuhe oder Stiefel die nackten Zehen sichtbar, anfangs blutroth, dann erfroren — dunkelblau oder braun, endlich schwarz. Andere hatten die Füsse mit Lumpen, mit Lederstücken, Bast, Schaaf- oder anderen Fellen umwickelt, und diese retteten ihre Fußzehen, wofern sie wieder anderes Material zum Einwickeln für das durchgetretene fanden. Unzählige , die so glücklich waren, ihr Leben durchzubringen, erfroren Hände, Füsse, Nasen, Ohren, sehr vielen fielen // S. 86// Finger, Zehen ab, anderen mussten dieselben, oft der ganze Arm oder Fuß abge nommen werden. Wie die Kälte Verheerungen anrichtete, ebenso that es der Hunger. Kein Nahrungsmittel war so schlecht, daß es nicht seine Liebhaber gefunden hätte. Kein gefallenes Pferd oder Vieh wurde verschmäht, kein Hund, keine Katze, überhaupt kein Aas, selbst Menschenfleisch, die Leichname der Erfrorenen und Verhungerten dienten oft den Uebrigen zur Nahrung. Es geschah sogar, daß Menschen zu Stillung des Hungers den eigenen Körper, Hände und Arme benagten. Aber nicht allein der physische Mensch litt das Unsäglichste, auch der geistige war von der Kälte in Verbindung mit dem Hunger angegriffen. Alles menschliche Gefühl war erstorben, jeder dachte und sorgte nur für sich, der Zustand seines Kameraden kümmerte ihn nicht. Gleichgültig sah er ihn todt niederstürzen, gefühllos nahm er auf seiner Leiche an dem Feuer Platz. Dumpfe Verzweiflung, tobender Wahnsinn hatte viele ergriffen, unter den grösten Verwünschungen gegen Himmel und Erde hauchten sie ihren Geist aus. Andere waren zu Kindern geworden, und giengen darum zu Grunde, wenn vielleicht ihre physischen Kräfte sie wohl hätten retten mögen. Wieder andere starrten in einem Stumpfsinn dahin, der sie das Rettungsmittel übersehen ließ, und gerade dem Untergang entgegen führte. Alle aber hatten wohl an ihrer geistigen Kraft — wenigstens für einige Zeit — Schaden genommen, und bey den // S. 87// meisten offenbarte sich dieß durch Gleichgültigkeit und Stumpfsinn. Der Soldat nannte es den Moskauer Tippei.

Indem ich dieses Gemälde schliesse, habe ich nur noch beizufügen, daß ich darin keine zu grellen Farben gebraucht, daß ich die reine lautere Wahrheit gesagt, und daß ich übrigens bis jetzt, wo ich dieß schreibe, im Jahr 1828. in allen Schilderungen des Rückzugs, die mir vor Augen kamen, noch keine Uebertreibungen gefunden habe, ja daß ich überzeugt bin von der Unmöglichkeit, das Elend der Flüchtlinge gräßlicher zu malen, als es in der Wirklichkeit war.

Ich brauche nun wohl nicht mehr zu sagen, wie freudig unsere Empfindungen waren, als wir den Schauplatz unseres Unglücks, unseres Elendes verlassen hatten, und beginne daher, meine Rückreise ins Vaterland zu erzählen.

Zwölfies Capitel.

In Kalvary, am 13. Dec[em]b[e]r kaufte ich mit dem Ober-Lieutenant Grafen v[on] Graevenitz, und dem Ober-Lieutenant v[on] Maucler125 zusammen 2. Schlitten, die wir mit unsern Pferden bespannten, und auf deren einem Graevenitz und ich Platz nahmen, auf dem andern aber fuhren der kranke Maucler und der Quartiermeister Veihelmann. Als Kutscher und Bedienten hatten wir den Jäger Hoffmann angenommen, und die gleichen Dienste bey Mauders Schlitten // S. 88// versah der Jäger Sommer. Der Frost hatte seit 24. Stunden etwas nachgelassen, doch war er immer noch bedeutend genug. Am 14. Dec[em]b[e]r verließen wir Kalvary, schlugen den Weg nach Goldap ein, waren über Mittag in Krowikresly, bey einem Grafen v[on] Pusinsky, und erreichten Abends Wysztitten. Tags darauf gelangten wir nach Goldap in Ostpreussen. Bey meinen dortigen Bekannten fand ich eine herzliche Aufnahme. Meine Erzählungen von unsern Schicksalen erregten eine aufrichtige Theilnahme, und sie suchten nach Kräften uns unser überstandenes Ungemach vergessen zu machen. Aber auch sie hatten schwer gelitten von den Durchzügen der französischen Armee, und hatten manche und grose Verluste zu bedauern. Uns als Deutschen boten sie die brüderliche Hand, aber gegen die Franzosen hatte sich ihr Haß, der seit 1807. noch nicht erloschen war, auf's Neue und heftiger als zuvor entzündet. In Goldap legten wir unsere zerrissene, von Ungeziefer wimmelnde Kleidung ab, und verschafften uns von dem Rest unserer Baarschaft neue Kleider, reines Weißzeug. Von hier nahmen wir den Weg nach denjenigen Orten, wo unser Regiment vor dem Feldzuge eine kurze Zeit in Cantonnirung gestanden, und wo sich Graevenitz mehrere gute Bekannte erworben hatte.

Es waren dieß die Städtchen Angerburg und Rastenburg, besonders aber Rößel. In allen dreyen fanden wir eine ebenso gute Aufnahme, wie in Goldap, und wie hier, so machten wir auch in Rößel einen Ruhetag. Am 20. De- c[em]b[e]r setzten wir die Reise fort, und nahmen die Richtung nach Danzig, wo der Sammelplatz der Württemberger seyn sollte. // S. 89//

Вернуться к просмотру книги Перейти к Оглавлению